In den letzten Monaten habe ich schon oft Mäntel abgelegt und doch merke ich immer wieder, dass in meinem Kopf oder in meiner Vorstellung der Prozess sich ganz anders anfühlen sollte und ich jedes Mal daran knabbere wie er wirklich ist. Darum möchte ich ihn gern mit dir teilen.
Unter einem Mantel verstehe ich, dass was wir uns angezogen haben, weil wir irgendwann in unserem Leben mit einer Situation nicht umgehen konnten, etwas zu viel für uns war, unverständlich oder wir uns lieber angepasst haben. Ich glaube, dass wir diesen Mantel immer aus Schutz anziehen. Aus Schutz davor, dass wir ausgestoßen, abgelehnt, nicht gemocht oder geliebt werden oder weil wir selbst sonst zerbrechen würden. Also haben wir die großartige Fähigkeit, dass wir uns einfach außen einen Mantel überziehen, bevor wir im Innen kaputt gehen. Das ist ein so großes Geschenk. Dass was an dieser Situation „kompliziert“ ist, ist dass wir oft vergessen, dass wir den Mantel an haben und wie wir ihn wieder ausziehen können.
Ein Mantel ist zum Beispiel, wenn ich denke: „Ich bin nicht gut genug.“, „Ich bin so ein Schussel.“, „Ich kann das nicht oder nicht so gut wie andere.“, „Ich bin zu laut.“ „Ich bin zu sensibel.“ „Ich stell mich immer so an.“ „Ich bin es nicht wert.“ „Ich bin nicht liebenswert.“ und tausende andere.
Ich stell mir das als Beispiel so vor: Ich mal ein Bild als Kind das mir Spaß macht. Ich liebe Malen. Meine Mama hat gerade keine Zeit, dass sie dem Bild Beachtung gibt. Ich zweifle. Ich sehe neben mir Kinder die mehr gelobt werden für ihr Bild. Ich zweifle. Ich bekomme eine schlechtere Note als meine Freundin für ihr Bild. Ich zweifle. Stück für Stück bricht in mir etwas auf und weg. Damit ich aber dennoch von meiner Mama gemocht, von meiner Erzieherin auch gelobt werde und mit meiner besten Freundin mithalten kann, ziehe ich mir den Mantel an „Ich bin nicht kreativ.“ und male einfach nicht mehr so gern oder viel, ich halte mich genau an die Vorgaben, obwohl es mir keinen Spaß macht. Ich werde in etwas anderem ehrgeiziger. Nach und nach sitzt dieser Mantel so fest, dass ich ihn gar nicht mehr spüre und die Jahre vergehen. In mir ist da zwar eine Sehnsucht nach Kreativität aber der Mantel ist fester Bestandteil und bringt mich immer wieder auf Kurs. Ich stürze mich in andere Dinge, damit ich nicht auf die Idee komme, dass ich gerne Male, denn dann hab ich immer dieses komische Gefühl. Bei kreativen Dingen auf Arbeit meld ich mich gern aber geh sie mehr mit Logik an und habe deshalb so ein beklemmendes Gefühl, niemand ist sehr begeistert und wenn kann ich es nicht annehmen, weil ich es nicht glaube und der Mantel schnürt sich enger. Irgendwann merk ich ihn nicht mehr.
Ich merke dann nur ich fühle eine Sehnsucht in mir, immer wieder in der Ruhe kommt der Gedanke auf: „Ich möchte doch mal wieder was Kreatives machen.“ und immer wenn ich es ausprobiere kommt dann gleich diese Wand, dieses ach zu anstrengend, nicht gut, oder ähnliche Gedanken, dann verschwindet es wieder und so drehe ich mich viele Jahre im Kreis, bis etwas passiert. Etwas, dass mich dazu bringt, dass ich mich ansehe.
Wenn ich dann hinsehe, sehe ich auf einmal, da ist doch etwas, da hab ich doch etwas an, dass bin doch gar nicht ich und ich fange an, dass ich daran rüttel, ohne dass ich weiß was ich da tue und auf einmal geht dieser Mantel auf und ich kann sehen: „wow dass bin ja gar nicht ich. Den Mantel habe ich ja nur an und ich will den doch gar nicht tragen.“ Also fange ich an, dass ich ihn ablege, weil ich auf einmal klar sehe und das geht mit einer riesigen Erkenntnis her. Jetzt kommt der Moment, wo ich immer dachte, „easy, einfach ausziehen und glücklich sein“, aber so fühlt es sich nie an.
Wenn ich den Mantel ausziehe passiert ganz viel was ich nie erwartet habe. Zum einen kommen ganz viele Gefühle. Zum Beispiel Traurigkeit darüber, dass ich mein halbes Leben auf Kreativität verzichtet habe. Wut weil ich doch eigentlich einfach nur Spaß hatte daran und andere es bewerten mussten. Dann kommt ein Gefühl von jetzt wird mir der Boden unter den Füßen weg gezogen, denn ich dachte ja so lange ich kann nicht kreativ sein. „Wie soll ich jetzt weiter machen?“ „Wie kann ich es wieder leben.“ In dieser Phase fühle ich mich wie roh oder nackt (Seelenstrip), denn ich merke, der Mantel hat mir ja auch Schutz gegeben. Immerhin konnte ich nie wieder bewertet werden, wenn ich nicht kreativ bin. „Woher weiß ich jetzt ob ich es bin oder nicht?“ „Wie kann ich daran wieder einfach nur Spaß haben?“ „Wie kann mir egal sein was andere denken?“ All das purzelt auf einmal und es gibt keinen Schutz mehr (Alt) und noch kein Vertrauen (Neu), nur ein dazwischen und dieser Zustand fühlt sich oft so wackelig, herausfordernd, unsicher und neu an, dass er sich oft nicht gleich wie ein erblühen und erleichternd anfühlt sondern rau, beängstigend und anstrengend. Das dazwischen kann auch eine ganze Weile andauern zwischen dem ALT: ich will es eigentlich gar nicht mehr aber heute halte ich es mal und mach ich es noch so, weil ich noch ein wenig unsicher bin und dem NEU: heute probier ich es mal aus und halte es, dass es noch nicht ganz Spaß macht.
Das war nur ein Glaubenssatz-Beispiel: „Ich bin kreativ.“. Stell dir dies mal vor, wenn ganze Systeme, ganze kollektive Glaubenssätze und uraltes, was nur weitergegeben wurde, in dir auf einmal einstürzen wie: „Ich bin wertvoll.“ „Ich bin genug.“ „Ich bin Liebe.“ „Ich bin alles.“ „Ich bin verbunden.“ oder bei mir ist es gerade „Ich bin offen.“ Da liegt alles brach (Körper, Geist und Seele) und jetzt baue ich mich neu zusammen. Nach Ostern pelle ich mich aus dem Ei heraus in eine neue Version von mir.