*Triggerwarnung: In den gekennzeichneten Abschnitten geht es um Depression, Tod und Fehlgeburt, bitte wähle selbst ob du diese lieber auslässt.*
[ Depression – Ich kann mich noch an einen Moment von vor 15 Jahren erinnern. Mein Mitbewohner nahm damals Antidepressiva um seine „negativen“ * Gedanken und Gefühle zu stabilisieren. Er schlich sie langsam aus und kam von einem Radurlaub nach hause. Damals saßen wir in der Küche und er erzählte mir wie wundervoll dieser Urlaub war, denn er hatte zum ersten Mal nicht mehr diese Wolke um sich, sondern konnte wieder Freude über etwas empfinden. Seinen „positiven“ Gefühle kamen langsam wieder. Ich weiß noch wie sehr mich das damals bewegt hatte und traurig machte. Dies wollte ich niemals erleben. (Vielleicht wollte ich daher nie auf Antidepressiva eingestellt werden.)]
Heute denke ich, dass ich an diesem Punkt auch gerade stehe. Ich machte mir nie Gedanken darüber. Ich dachte ich hatte ein glückliches Leben, habe oft gelacht und kannte ja nur meinen Status Quo des Fühlens. Nie im Leben hatte ich daran gedacht, dass ich vielleicht gar nicht wirklich fühle. Es gab Momente in denen der Gedanke aufblitzte und es sich nicht ehrlich anfühlte oder gehemmt. Aber der ging schnell wieder weg.
[ Tod – Ich war damals dabei als meine Oma starb, ich war stark für meine Mutter, setzte sie zuhause ab, fuhr auf die Arbeit und blieb im Auto sitzen, ich rief meinen Freund an und weinte. Nach vielleicht 5 Minuten wischte ich sie weg und ging nach oben an die Arbeit. Ganz nach dem Motto: „Arschbacken zusammen kneifen und weiter.“ Ich verschwand keinen Gedanken daran, ob ich da vielleicht etwas unterdrücke. Ich war ja immerhin traurig und weinte ja auch mal.]
Als ich bei meinem 30. Geburtstag von meinen Freundinnen überrascht wurde und einen so traumhaften Tag und Abend hatte, stand ich beim Abschied da und da spürte ich zum ersten Mal, da ist etwas in mir, dass sich nicht frei anfühlt. Ich stand da und wollte vor Freude und Berührung weinen. Ich war wie angewurzelt und konnte nichts tun. Daheim allein, brach ich in Tränen aus.
Ich weiß noch als Jugendliche habe ich bei dem Film Titanic mit Spucke so getan, als würde ich auch weinen im Kino, weil ich mich so geschämt hatte, dass ich es als einzige nicht tat.
[ Fehlgeburt – Als ich mit meinem Mann bei unserem ersten großen Urlaub in Thailand war, war ich zum ersten Mal schwanger. Auf der Flughafentoilette verlor ich unser Kind in der 8. SSW und spülte es die Toilette runter. Mit blutverschmierter Hose und meinem Schal unterm Po setzte ich mich ins Flugzeug und Schluckte meinen Tränen runter, ich wimmerte ein wenig und wählte das Maß an dem was raus durfte, ohne das die anderen es merkten. Wieder einmal: „Es musste ja weiter gehen und andere erleben viel schlimmeres.“]
Wenn ich die Zeilen heute schreibe, fühle ich Scham, Ablehnung, Wut, Traurigkeit über mich selbst. Mir kommt selbst die Stimme in den Kopf: „Wie kannst du nur so kalt sein?“ Im zweiten Moment versuche ich mir selbst zu sagen, es ist ok, du hast es nicht besser gewusst und einfach aus Schutz gemacht.
Ich habe mir angewöhnt einen Schutzwall um mich aufzuschlagen. Dieser hielt mich fern von Schmerz, Leid, Traurigkeit, Wut, Scham, Schuld. Leider hielt es mich aber auch fern von wahrhafter Freude, Genuss, Liebe, Glück, Empathie und Mitgefühl. Denn soweit ich das verstehe gibt es nicht 2 Regler und ich kann den einen an lassen und den anderen ausschalten, sondern es geht nur einer. Fühlen an/aus. Natürlich hatte ich auch Emotionen, aber ich glaube sie fanden nur im Kopf statt. All die Jahre wählte ich auch Essen, um die Emotionen runterzuschlucken. Das war ein effektives Mittel.
Ich konnte all die Jahr kalt sein, mit einem aufgesetzten Lachen und Mitleid für andere. In diesem Spektrum fühlte ich mich wohl, da war ich sicher. Da war ich im Kopf, da war es rational, erklärbar, logisch, vorhersehbar. Dabei hielt ich mich selbst als etwas völlig anderes.
Seit einer Weile grabe ich tief, damit ich an diesen verborgenen Schatz des Fühlens in mir komme. Ich versuche langsam von meinem Kopf in den Körper und in die Bereiche des Spüren und Fühlen zu kommen und ich kann für mich sagen es ist ein wirklich anstrengender, Scheißweg, der sich auszahlt. Es fühlt sich für mich an, als würden all die „negativen“ Emotionen wie Angst, Wut, Traurigkeit und Schmerz als erstes kommen, sie liegen wie oben drauf und wollen so sehr raus, dass sie geballt kommen und sehr intensiv sind. Ganz anders fühlen sich die „positiven“ Emotionen wie Freude, Genuss und Liebe an. Sie kommen so ganz sanft, manchmal zweifel ich an ihnen, ob sie echt sind und es ist wie zum ersten Mal in meinem Leben. Ich kann sie mehr und mehr annehmen.
Ich kann mehr erkennen wo ich mich echt freue und werde Stück für Stück dieses „Nettes-Mädchen-Lächeln los. Ich kann andere wahrhaftig in den Arm nehmen und fest drücken und ihnen sagen wie wertvoll sie sind, weil ich es fühle und nicht denke und dass ist 100x intensiver. Ich weiß noch wie ich am Anfang beim ehrlichen Mitteilen Liebe beschrieben habe, als sie noch anfing sich in mir zu zeigen. Ich traute mich lediglich zu sagen „Da ist so ein warmer Druck in meinem Herzbereich.“, denn anders fühlte es sich noch nicht an und von Liebe zu sprechen war ich noch Meilenweit entfernt.
Es wird…langsam in Mäuseschritten, damit mein Gefühl sich wie eine kleine Maus langsam hinter der dicken Mauer heraus trauen darf, aber sie zeigt sich ab und an und die schweren Emotionen dürfen auch jeder Zeit einfach raus.
Gleichzeitig glaube ich, habe ich gerade erst an der Oberfläche gekratzt und das Fühlen nur in Homöopathischen Dosen angenommen. So lange ich nicht die Traurigkeit über den Tod in meinem Leben fühle werde ich nicht voll leben können und so lange ich Gefühle aussperre werde ich sie mit diesen physischen Schmerzen wahrnehmen, weil sie wie in meinem Körper gefangen sind. So lange werde ich in diesem Zustand, wie für mich wahrgenommen, eines Zombies durch die Welt laufen.
Ich fühle jetzt gerade Erschöpfung, Traurigkeit, Freude, Dankbarkeit und Verbundenheit. (Auch das lernte ich, dass darf alles zugleich da sein) 🙏🏻
* Ich stelle „positive“ und „negative“ Emotionen in Anführungszeichen, da sie für mein Verständnis nicht bewertet oder in Kategorien gepackt werden sollten, sondern einfach alle gleich sind und es manchmal genauso schön ist wenn jemand sich öffnet und weint oder lacht, wenn beides aus tiefem Herzen kommt und frei raus darf.