Heute beobachte ich meine Tochter wie sie ein Pflaster auf einen Mückenstich klebt. Es hilft ihr so sehr für den Moment und schützt so gut, vor dem was da unter der Haut juckt. Es klebt dann wieder tagelang auf ihrem Bein und sie hat jeden Tag Angst vor dem abreisen. Das erinnert mich daran wie ich meine Mitmenschen immer mehr wahrnehme und mein Verhalten ihnen gegenüber.
Seitdem ich selbst meine tiefsten Wunden in mir heile, zum Teil Wunden von denen ich noch nicht einmal wusste das ich sie habe, kann ich zum Teil auch bei anderen an ihrem Verhalten erkennen was sie für Wunden haben könnten und vor allem wie sie diese kompensieren. Es ist manchmal als könnte ich nicht die großen sehen, sondern die kleinen verletzten Kinder vor mir. Zumindest glaube ich, dass ich sie erkennen kann. Manchmal spreche ich sie ganz zaghaft darauf an und bekomme meist zwei Reaktionen. Manche antworten mit einem „Danke“ und es fühlt sich wie ein Moment der Klarheit an, wenn ich sie sehe und manchmal kommt eine große Mauer „Nein, da ist auf jeden Fall Nichts.“ So vehement wie dies rausgeschossen kommt, fühlt es sich wie Unbehagen bei mir an, denn ich möchte nicht in eine Wunde stechen. Gleichzeitig möchte ich über die Schwelle helfen und zur Heilung beitragen.
Manchmal denke ich dabei an einen Tanz. Es wird getanzt zwischen sehen und wegschauen, zwischen ansprechen und schweigen, zwischen Handreichen und machen lassen und dieser Zustand ist im Moment manchmal sehr schwer für mich. Ich mag den Tanz nicht. Ich merke das da auch auf meiner Seite noch Themen sind, dass ich andere nicht verletzten möchte und ich fühle Unsicherheit. Da darf ich gerade viel lernen.
Genau wie bei meiner Tochter habe ich das Empfinden, dass ganz viel Heilung passieren könnte, wenn Luft an die Wunde kommen kann und sie gesehen wird, aber das Pflaster abreisen tut so viel mehr weh und es ist so unsicher wie es darunter aussieht. Das Gefühl von Schutz geht verloren und das ist für den Moment weitaus wichtiger als Heilung.
In mir kommen dann oft die Gedanken hoch, dass meine Angebote, mein eigenes heilen, mein Sein, all das ist wie gefährlich und angsteinflösend für mein Umfeld. Die Angst so groß, wenn wir gemeinsam das Pflaster bei ihnen entfernen oder sie mich dabei beobachten, wenn ich es bei mir mache.
An Tagen wie heut bin ich sehr dankbar, dass ein Teil in mir so stark ist, der sich sehr nach Mut anfühlt. Mutig genug, dass ich diese Schwelle des Pflasters jeden Tag in mir überschreite und mich in die Gegenden wage, die nicht meine Komfortzonen sind. Mutig genug, dass ich den „kurzen“ Schmerz, der jedoch sehr intensiv ist, aushalte und schauen kann was es wirklich braucht damit meine eigene Heilung stattfinden kann. Mir war nicht klar, dass ich diesen Teil besitze, diesen Mut. Heute fühle ich viel Dankbarkeit darüber.
Ich bin gespannt wie der Tanz weitergeht und ob ich ihn eines Tages tanzen kann. Der Wunsch danach ist in mir recht groß.