18 – Kontrolle
18 – Kontrolle

18 – Kontrolle

Seitdem ich in meinem Leben in die Arbeitswelt eingestiegen bin, war meine Stärke, die ich immer angeben konnte, dass ich gut planen und organisieren konnte. Ich war oft in meinem Leben gut vorbereitet, hatte schon im Vorfeld alle Eventualitäten durchdacht und alles notwendige dafür in die Wege geleitet. Ich hatte manchmal sogar einen Plan B. Ich war immer überpünktlich, Todo-Listen waren meine Passion, ohne diese konnte ich nicht leben. Auch im privaten Umfeld kamen mir diese Eigenschaften immer zu Gute. Ich wusste immer wo was liegt, bei mir war es nicht immer sauber aber aufgeräumt. Ich hatte einen guten Überblick und alle konnten mich fragen. Ich hatte eine feine Antenne. Manchmal hatte ich das Gefühl, das ist meine Superkraft. In den letzten Tagen konnte ich einige Prozesse in mir näher beleuchten und auflösen und das ist ein Prozess davon, der mir am deutlichsten zeigte, wie so eine Superkraft versteckt auch ein Kontrollzwang-Mechanismus sein konnte.

Ich habe in dem letzten Jahr so viel über Grenzen lernen dürfen und immer und immer wieder üben, wie ich sie liebevoll, klar und deutlich setzen konnte. Ich hatte noch vor ein paar Wochen dass Gefühl, dass ich darin besser werde, nicht zwingend den Dreh raus habe, aber Verbesserungen spüre. Heute kann ich sagen, ich lag falsch. Völlig falsch. Wobei vielleicht nicht völlig. Im setzen wurde ich schon besser aber ich übersah oder konnte gar nicht sehen, dass ich etwas völlig wesentliches übersah.

In meinem Artikel über Macht schrieb ich darüber wie mir als Kind eine Situation widerfuhr, in dem eine essentielle Grenze von mir komplett überschritten wurde und mich somit nachhaltig sehr geprägt hat. Ich hatte keine Macht darüber und verstehe heute, was mich diese Situation überleben lies. Ich zog mich in mich zurück und setzte da meine Grenze so eng wie möglich, denn da konnte niemand heran. Wenn ich es körperlich fühle und beschreibe, fühlt es sich so an, als würde alles von mir, mein Sein, mein Wesen, alles was mich ausmacht in meinem Bauch befinden und das ist auch der Bereich, wohin ich mich zurück ziehe und wo ich eine Schutzmauer (meinen Grenzwall) aufbaute und wohin ich mich immer in meinem Leben zurück ziehen konnte. Ohne dass mir dies bewusst wurde.

Ich nehme daher an, dass es bei mir so ist, dass ich in einer Situation, die sich für mich wie Leben oder Tod anfühlt, aber eigentlich eine Alltagssituation ist, in meinen Körper zurück ziehe. Ich fühle und spüre dann nichts mehr, mein Kopf ist wie ausgeschaltet oder als hätte ich Scheuklappen an, als wäre ich ferngesteuert oder unter einer Taucherglocke. Ich spüre nur noch die Grenze in mir – als Druck in meinem Bauch. Als würden sich meine inneren Soldaten positionieren. Wenn ich also mit anderen Menschen agiere, dann ist mein Safespace immer in mir. Da dieser Rückzugsort aber so dicht an Leben oder Tod ist und es wenn da jemand an die Grenze stößt keinen Spielraum gibt, habe ich eine Strategie entwickelt: KONTROLLE!

Meine erste Stufe: Ich plane, ich organisiere, ich bereite vor und ich nehme an. Ich habe Vorstellungen wie wer oder was ablaufen wird oder reagiert. Das ist meine Schutzstrategie, damit bloß niemand an diese Grenze stößt, hinter der es keinen Raum mehr gibt. Tja meist ist aber natürlich alles anders, das Leben, die Reaktion der anderen, die Bedürfnisse, eigentlich nahezu alles und jetzt stelle ich mir vor, kommt mein System ins schwitzen. Meine erste Schutzstrategie wird durchbrochen. Mein Nervensystem ist auf Alarm und da Situationen und Menschen natürlich relativ oft anders reagieren, ist es das auch ziemlich oft, auf Alarmstufe Orange. Dann ist mein System glaube ich weiterhin ziemlich intelligent. Ich leite weitere Maßnahmen ein. Zum Beispiel Wut oder Ablehnung, wenn andere anders reagieren, als ich das geplant habe oder ich leite Flucht ein, indem ich die Situation verlasse. Eine weitere effektive Strategie ist erstarren und einfach ein Lächeln aufsetzen. Diese Strategie führt jedoch dazu, dass Alarmstufe Rot angeht, denn eine weitere Schutzstrategie ist überwunden und meine innere Grenze kommt immer näher. Hier zeigt dann mein Körper was er kann, indem er unter anderem Panikattacken oder Krankheiten setzt. Das ist dann meine Exitstrategie und bringt mich sicher aus dem Minenfeld wieder heraus.

All die Jahre habe ich mich in diesem System bewegt. Ärzte und Therapien besucht, Ernährungsformen ausprobiert, Sport getrieben aber nichts davon half mir und jetzt kann ich auch nachvollziehen warum. Wie sollte ich mit Medikamenten, gesundem Essen oder Sport meinem System erklären, dieser Mensch, der da mir gegenüber steht und spricht, tut oder einfach ist oder jene Situation in die ich gerate, keine Bedrohung für mich ist. Niemand oder Nichts will mir an Leib und Seele. Diese Bedrohung kann ich ganz „einfach“ ändern, indem ich meine Grenze nehme und sie mir nicht mehr genau vor meinen Leib und Seele setze, sondern dahin wo ich auch noch Spielraum habe, wo ich sehen und passieren lassen kann und überhaupt in der Lage bin , dass ich auch mal etwas annehme oder meine Grenze verschieben kann, wenn ich sage, „Hey ich habe gerade gute Kapazitäten.“ oder ich würde gern mal sehen wie du überhaupt reagierst oder wer du wirklich bist. Denn dadurch kann ich ja erst wahrnehmen, ob da nicht auch etwas tolles auf mich wartet, aber natürlich nur, wenn ich nicht schon voll im Sicherheitsmodus einleiten bin.

In meiner Vorstellung setze ich die Grenze, die im Moment wie ein Gürtel um meinem Magen gelegt ist, einfach ab und hole sie aus meinem Körper raus und spanne sie wie einen Bogen in 2-3 Meter Entfernung um meinen Körper auf. Wie diese Bilder wo man eine Aura sieht. Und in diesen Bereich zwischen der Grenze und meinem Körper kann auch mal Leben passieren, indem Bereich muss ich nicht mehr alles planen, organisieren und am Ende kontrollieren, da darf ich und alles andere sein und kann sehen was es alles tolles gibt und jeder Zeit spüren, was macht das mit mir und habe immer noch so viel Raum, dass ich klar und deutlich eine gesunde Grenze ziehen kann. Und alles andere habe ich trotzdem noch.

Ich habe immer noch die Möglichkeit, dass ich mich wie eine Schnecke in meinen inneren Kern zurück ziehe und flüchte, ich kann und darf immer noch organisieren, wenn ich es möchte (und nicht weil ich muss) und ich kann immer noch dieses Lächeln aufsetzen, wenn es mir zu viel wird. ICH KANN, ABER ICH MUSS NICHT!

Aber da war sie wieder die Vorstellung, die Planung die Kontrolle und bis ich sie vollends loslassen kann, darf ich alles beobachten, ausprobieren, spielen, üben und verändern. Ich darf jeden Tag wählen.

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