Depression
Depression

Depression

Heute lehne ich mich mal weeeeeit aus dem Fenster hinaus.

In den letzten Monaten – oder eigentlich ja schon Jahren – hatte ich immer wieder depressive Phasen. Dieses Wort war immer so groß in meinem Leben, und ich weiß: Oft wollte ich es mir nicht anziehen und lehnte es ab. Und doch kam es immer wieder.

Ich wuchs mit Depression in meiner Familie auf, sie umgab mich in meinem Freundeskreis – und ich sah sie im Spiegel.

Vor drei Jahren stellte ich mich vor den Spiegel und sagte:

„Ich habe Depression.“

Damals fühlte es sich erleichternd an, und doch änderte das eigentlich nichts – außer, dass der Widerstand kleiner wurde.

Ich weiß noch, dass der bewegendste Moment, der mich bis heute nachhaltig berührt, ein Interview mit Jim Carrey war, in dem er sinngemäß sagte:

„Dein Körper sagt: Ich will den Avatar nicht mehr spielen, den du jeden Tag einnimmst.

Und deshalb geht er in einen Modus der Depression – in einen Modus des deep rest, der tiefen Erholung.“

Das veränderte meine Annahme und mein Verständnis nachhaltig:

dass mein Körper für mich ist.

Dass er mir Schutz und Sicherheit anbietet.

Dass er meine helfende Hand ist.

Und dass es an mir liegt, sie anzunehmen.

So oft in diesen Episoden fragte ich mich:

Warum ist es morgens eigentlich am schwersten?

Ich las es von anderen, ich erlebte es jeden Tag.

Früh am Morgen wachte ich auf – wie ein „normaler Mensch“ – und drei Sekunden später legte sich wie ein Schleier auf mich.

Er war dunkel und schwer.

Er verkrampfte meinen Bauch, verdunkelte meine Gedanken und ließ meine Augen kaum öffnen.

Mein Körper fühlte sich an, als würde ich einen Stein auf meinen Schultern tragen.

Stunde um Stunde wurde es leichter – und ab Mittag klarte das Wetter in mir auf.

Am Nachmittag und Abend war ich ein anderer Mensch. Einer, der sich mehr nach mir anfühlte – oder vielleicht einer, der ich lieber sein wollte.

Jeden Abend hatte ich sogar Sorge, ins Bett zu gehen, denn ich wusste, welcher Mensch am Morgen wieder auf mich warten würde.

Die Frage, was das war und warum, blieb und bohrte in mir.

Vor zwei Wochen hatte ich einen Termin früh am Morgen beim Arzt – und da war es wieder da.

Meine Ärztin meinte: „Ja, das ist ganz typisch. Sie könnten einfach etwas Aufhellendes nehmen, das Ihnen den Morgen leichter macht.“

Ich sagte: „Ich überlege es mir.“

Und da stand sie wieder im Raum – die Frage.

Und diesmal war sie so klar.

Ich glaube, ich habe für mich eine Antwort gefunden, die sich für mich wahr anfühlt:

Am Morgen ist der Schleier sehr dünn – zu mir, zu dem, was in mir steckt, zu dem Eisberg unter Wasser: meinem Unterbewusstsein.

Die ganze Nacht über habe ich quasi eine private Therapiesitzung bei meinem inneren Therapeuten.

Er wühlt in mir herum.

Und am Morgen ist es dann – genau wie nach einer realen Therapiesitzung – so:

Ich fühle mich aufgewühlt, alles ist umgekrempelt.

Da liege ich, wie auf dem Seziertisch, und darf den ganzen Vormittag damit verbringen, wieder alles zusammenzusammeln, zu ordnen, zuzumachen und zu verstauen.

Bis die Umwelt mich wieder „hat“.

Bis ich alles wieder hübsch in meinen gewohnten Schubladen verstaut habe – und weitermache. Mit meinem Avatar.

Jeden Morgen ist es eine Qual, meine Weichteile, Wunden, Schuld, Scham, Last und meinen Schmerz wieder einzusammeln und zu verstauen.

Aber – jeden Morgen ist es auch ein Geschenk.

Denn diesen Morgen habe ich irgendwann „unbewusst“ zu meinem gemacht.

Was für ein Geschenk ist es, jeden Morgen so rein mit sich zu sein.

So offen. So klar.

Denn da liegt sie – nicht meine „schlechte, kranke, funktionsunfähige“ Version,

sondern meine verletzte, tragende, überforderte Version.

Jeden Morgen kann ich ein Kleidungsstück nehmen und überlegen:

Kommt es wieder zurück in meinen Schrank – oder miste ich es heute vielleicht lieber ganz aus?

Meine Wahl ist es.

Mein Geschenk ist es.

Meine Liebe ist es.

Danke, Depression. Denn durch dich bin ich irgendwann kein Avatar mehr – sondern ICH.

Darf ich dich in meine Welt entführen?

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